LGBT-Kolumne

Der Struggle mit dem Büsi-Shirt

Kolumne: Anna Rosenwasser

Einmal im Monat schreibt Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. Im Februar fragt sich die Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz, was sie zu einem öffentlichen Auftritt anziehen soll. Und merkt, dass diese Outfit-Entscheidung durchaus politisch ist.

Kann ein Katzen-Shirt denn falsch sein? Nein, oder? Ich meine, dieses Kleidungsstück begleitet mich jetzt schon seit über zehn Jahren. In einem Tel Aviver Hipster-Laden gekauft, trug ich es bisher immer zu Auftritten, die mich etwas nervös machten. Es ist schwarz, total unförmig und vorne drauf sind in Airbrush-Ästhetik drei Katzen.

Wie wirken denn da Airbrush-Büsis?!

Jetzt war ich definitiv etwas nervös. Es war Freitagnachmittag und in wenigen Stunden würde ich in einer nationalen Sendung zu sehen sein. Es war eine politische Sendung, es ging um Homosexualität, und ich war quasi als Berufslesbe dort. (Oder professionelle Bisexuelle. Da scheiden sich die queeren Geister.) Und ja, das war definitiv wichtig genug, um mein Büsi-Shirt zu tragen. Aber in dieser Sendung trat auch eine Bundesrätin auf. Und mindestens drei Leute aus dem Nationalrat. Also insgesamt sicher ein halbes Dutzend Blazer. Wie wirken denn da Airbrush-Büsis?! Schon mal eine erwachsene, ernst zu nehmende Politikerin gesehen mit Airbrush-Büsis? Dann wiederum: Wenn ich schlaue Dinge sage, sollte es doch eigentlich keine Rolle spielen, was ich trage. Es geht doch darum, dass ich mich wohlfühle, während ich gute Argumente raushaue.

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Beim meinem TED Talk im Sommer 2018 trug ich das Büsi-Shirt. (Foto: Screenshot Youtube)

Als wer müssen wir uns verkleiden, um ernst genommen zu werden?

Erst kam mir diese Outfit-Frage oberflächlich vor. Aber dann merkte ich, dass sie durchaus politisch ist. Als wer müssen wir uns verkleiden, um ernst genommen zu werden? Als was werden wir wahrgenommen, wenn wir einfach bloss uns selber sind? Diese Fragen sind nicht nur an der Oberfläche. Sie greifen tiefer.

Ich griff tief in den Kleiderschrank meiner Freundin. Und fand einen marineblauen Blazer, in dem ich mich nicht so verkleidet fühlte. Das Büsi-Shirt blieb zu Hause, damit mich das TV-Publikum ernst nimmt. Als ich zwischen Bundesrätin und Nationalräten im Studio sass, war ich froh, dass ich diese Entscheidung getroffen hatte.

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Im Publikum waren zwei Schulklassen. Während der Diskussion, vor allem während der Argumente meiner Gegner*innen, trafen sich manchmal die Blicke einiger junger Frauen und meine. Mal nickten sie mir kurz ermutigend zu, mal schmunzelten sie aufmunternd. Hoffentlich kann ich ihnen noch Danke sagen nach der Sendung, dachte ich mir. Ich konnte.

Als das Fernsehen nach der Aufnahme noch einen Apéro und Znacht spendierte, pflanzten sich einige der jungen Frauen vor mich hin. Sie waren natürlich grösstenteils gay, das hatte ich seit dem Moment gewusst, als ich das Studio betreten hatte.

Wenn ich das nächste Mal Stilberatung brauche, frage ich queere Teenager.

Dann wurde ich ernst. «Ich hatte so einen Struggle vor der Sendung», gestand ich meinen neuen Freundinnen. «Ich wusste einfach nicht, was anziehen. Was hättet ihr angezogen an meiner Stelle?» Zu meinem Erstaunen blieben die Mädchen fast ernst. «Das haben wir schon besprochen», sagte die eine. «Ganz klar: einen roten Hut, orangen Schal, gelben Pulli … den ganzen Regenbogen, von Kopf bis Fuss!» Sie guckten mich an, als wäre das die einzig denkbare Option. Wenn ich das nächste Mal Stilberatung brauche, frage ich queere Teenager. Oder aber ich entscheide mich doch für mein Büsi-Shirt. Vielleicht ist es auch einfach Zeit für eine neue Generation von Politikerinnen.