Auzelg – fast wie in New York
Das grasgrüne 11er-Tram verkehrt auf der meistgenutzten Linie zwischen Rehalp und Auzelg. Trotzdem steigen nur wenige Leute bei der Endhaltestelle «Auzelg» aus. Es ist das einzige städtische Quartier ennet der Glatt. Auzelg gilt als die Bronx von Zürich, wurde einst unrühmlich «Negerdörfli» genannt, wirkt aber eher skandinavisch. Vielleicht, weil es im Norden der Stadt liegt?
Erst seit 2006 ist Auzelg von der Stadt aus mit dem Tram erreichbar. Wenn das 11er die Endhaltestelle anfährt, überquert es auf einer kurzen Brücke die Glatt. Gleich neben der Brücke steht über einem Eingang zu einem Schrebergarten der Schriftzug «Min Fyrabig». Die Parzelle ist eine von vielen.
Dem Fluss entlang befinden sich zahlreiche Familiengärten, in denen Nationalfahnen wehen. Die portugiesische ist in der Überzahl, gefolgt von der italienischen Tricolore. Das Flaggezeigen im eigenen Schrebergarten ist ein Phänomen für sich.
Hier, an der Grenze zu Oerlikon, ist Auzelg wirklich eine Oase – auch wenn Schwamendingen das statistisch ärmste Quartier von Zürich ist und Auzelg auf einer Graffiti-Website «Zuerich Ghetto» genannt wird. Auch mit der Bronx wird das Quartier gerne verglichen. Wahrscheinlich vor allem von den jüngeren, Hip-Hop-affinen Einwohnern, die ihre Hood mit dem Vergleich zum Geburtsort des Hip-Hop auch ein wenig romantisch verklären.
Als Aussenstehender fühlt man sich ein bisschen wie in New York.
Beim Spazieren durch die Strassen mit den alten, rauen Blocks, beim Überqueren der Zuggeleise in Auzelg Ost und beim Rumstehen unter den Autobahnbrücken fühlt man sich als Aussenstehender ein bisschen wie in dem legendären New Yorker Stadtteil. Doch das war es dann auch schon mit dem Bronx-Gefühl.
Die Stadtpolizei lässt sich vom Spruch «Cops Not Welcome», der beim Tramwendeplatz hingesprayt wurde, nicht abschrecken. Doch das Quartier macht sowieso keinen gefährlichen Eindruck. Zäune gibt es praktisch keine. Der einzige Wachhund, den man in einem Garten entdecken kann, ist aus Keramik.
Doch das Quartier macht sowieso keinen gefährlichen Eindruck.
Die Strassen sind leer. Der einzige Laden im Quartier, der früher als Treffpunkt für die Bewohner – allen voran für die Jugendlichen – galt, wurde geschlossen. Die Flugzeuge, die über das Quartier fliegen, sind zum Greifen nah. Die Namen der Fluglinien sind gut lesbar.
An der Quartiergrenze, versteckt unter der Aubrücke, befindet sich der Turnier-Tanzklub Zürich. Das «Dancers», ein Dancing und eine Tanzschule, lehrt nebenan Bachata, Discofox oder English Waltz. Angegliedert ist das einzige Restaurant des Viertels – das Restaurant «Aubrugg».
Auzelg gehört erst seit der Eingliederung von Schwamendingen 1934 zur Stadt Zürich. Im Zuge der Besiedlung von Auzelg baute Architekt Georg Seger 1941 17 zweistöckige Häuser mit angegliedertem Schopf und 1500 Quadratmeter Grünfläche. Sie stehen heute unter Schutz. In dieser «Arbeitslosen- und Selbstversorgersiedlung» sollten Arbeitslose, «Ungelernte» sowie «vermindert arbeitsfähige Handwerker» leben, so der Plan des Architekten.
Mit eigenen Gärten und Kleintieren sollten die Menschen dort auf den Wiesen getrennt vom Rest der Stadt ein für sie angenehmes Leben führen und ihr «Los merklich verbessern», wie der Stadtrat 1939 hoffte. Der Plan wäre heute kaum zulässig, die Idee einer Inselbildung für Quasi-Aussortierte nicht mehr zeitgemäss. Doch die Absicht war im Grunde gut, die Zeit eine andere – die Wirtschaft war am Boden.
Als eine Dekade später weitere Städter an den Ort zogen, bekam dieser seinen unrühmlichen Übernamen «Negerdörfli». Das Viertel am Stadtrand bot kinderreichen Familien, die für die Mietkosten in der Innenstadt nicht mehr aufkommen konnten, ein erschwingliches Zuhause und die Möglichkeit, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
Die, die weggezogen sind, kommen früher oder später gerne zurück.
Heute fühlt man sich in Auzelg wie in Schweden – an der Opfikonstrasse, die durch das ganze Quartier führt, stehen 120 Reihenhäuschen im skandinavischen Stil. «Wir waren hundertprozentig erfüllt von der schwedischen Architektur, obwohl wir gar nie selber in Schweden waren», liest man von Architekt Claude Paillard in einer Publikation zur Siedlung Au. Die rote Farbe für die Bretterfassaden wurde gar aus Schweden importiert. Dass diese Oase heute zwischen den Heizkraftwerken Hagenholz und Aubrugg sowie der Autobahn liegt, ist für die Bewohnerinnen und Bewohner kein Problem.
«Du bisch vom Auzelg Wenn?»: So heisst eine eigens für das Viertel gegründete Facebook-Gruppe. Du bist beispielsweise aus Auzelg, «wänn zum langenegger bisch go feiiiine tilsiter chaufe ... vorne a dä strass ...» oder «Wenn Frösch im Stinkbach gfange hesch und Froschlaich usem Weiher im Auwäldli gholt hesch»
Allgemein hört man von den Bewohnern nur Positives zu ihrem Viertel und die, die weggezogen sind, kommen früher oder später gerne zurück. Vielleicht auch Fussballprofi Francisco Rodriguez? Er und seine zwei Brüder – einer spielt beim grossen AC Mailand in Italien – sind der Stolz der Auzelger. Und auch Rodriguez liebt seine Heimat. So bezeichnete er in einem Fernsehinterview Auzelg einst als «das beste Quartier überhaupt».
Adresse
Auzelg
8050 Zürich
Infos
Das 11er-Tram verkehrt ganztägig zwischen Rehalp und Auzelg. Für diese Strecke benötigt das Tram ungefähr 48 Minuten. Zum Fahrplan geht’s hier.