Stadt & Geschichte

Jeder Tag ein Fest: wenn der Zürichsee gefroren ist

Text: Eva Hediger

Essstände, Konzerte und Schlittschuh laufende Polizist*innen: Die Seegfrörni im Winter 1962/1963 war ein Spektakel, das sich niemand in Zürich entgehen liess. Doch auch die frühere Vergangenheit zeigt: Auf dem Zürichsee-Eis lässt es sich wunderbar feiern.

«Fast Tag um Tag findet irgendwo ein Festchen statt», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» 1880. Die Zürcher*innen feierten in diesem Winter allerdings nicht in Festsälen und Restaurants, sondern auf dem komplett zugefrorenen Zürichsee. Selbst nachts zogen die Leute über das Eis.

Es waren jedoch nicht die Pferdeschlitten oder Musikkorps, die den damaligen NZZ-Journalisten auf der Eisfläche am meisten überraschten – sondern dass mehr Frauen als Männer Schlittschuh liefen. «Vor zwanzig bis dreissig Jahren hielt man es für unmöglich, dass es einer Dame nur einfallen könnte, sich diesem Vergnügen hinzugeben. Andere Zeiten, andere Sitten!», schrieb er. Fast einen Monat lang dauerte die Seegfrörni damals.

Auch 1891 spielte sich das gesellschaftliche Leben auf dem Zürichsee ab.

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1891 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt)

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1891 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Barbieri, Johannes)

Nur elf Jahre später war der Zürichsee wieder vereist. Von Ende Januar bis Anfang März wurde das gesellschaftliche Leben abermals auf das Eis verlegt – der Reitverein lud zur Schlittelpartie, der Veloklub Neumünster veranstaltete ein Rennen und die Soldaten hielten ihre Übungen auf dem zugefrorenen See ab.

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Der Ausnahmezustand bereitete 1891 aber auch Sorgen – so schrieb die NZZ: «Bureaustunden werden nur ungenau eingehalten, die Kollegien der Hochschulen finden vor stark gelichteten Reihen statt, und die Schuljungen eilen von der Schule, so schnell sie können, auf das Eis.» Publikumsmagnet war ein eingefrorener Fisch, der beim Schanzengraben aus dem Eis geschnitten wurde. Lange rätselten die Schaulustigen, wie das Tier in Bewegung hatte einfrieren können. Schliesslich räumte der Polizist, der den Eisblock herausgeschnitten hatte, ein: Der Fisch sei auf dem Rücken eingefroren – er habe den Block einfach nur gedreht.

Wieder wagten sich Zehntausende aufs Eis.

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1929 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Photoglob AG (Zürich))

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1929 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Pleyer, Wilhelm)

Die nächste Seegfrörni ereignete sich im Februar 1929. Wieder wagten sich Zehntausende aufs Eis – bis eine Sirene aufheulte: Das Eis musste sofort verlassen werden. Später wurde die Fläche nochmals für eine Woche freigegeben und diente gar als Landeplatz für ein Flugzeug.

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1929 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt)

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1929 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt)

Im Winter 1962/63 fand die letzte Seegfrörni statt. Bereits ab Mitte November herrschten Minustemperaturen. Anfang Dezember fror der See dann immer weiter zu. Am 25. Januar musste schliesslich der Schifffahrtsbetrieb komplett eingestellt werden. Zwei Tage später steckte zwischen dem Tiefenbrunnen und Wollishofen eine Tafel im Eis: «Johnny S. und Heinz J. haben heute Nacht den See überquert.»

Am 1. Februar 1963 gab die Wasserpolizei die Eisfläche frei.

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1963 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich))

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1963 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Baumann, Heinz)

Am 1. Februar 1963 gab die Wasserpolizei die Eisfläche offiziell für die Bevölkerung frei. Forscher überprüften zuvor an fünf verschiedenen Stellen die Eisdicke – sie betrug bis zu 13,5 Zentimeter. Grosse Plakate am Seeufer wiesen auf zehn Verhaltensregel hin. Eine davon lautete: «Um Notrufe Verunfallter hören zu können, ist das Lärmen auf dem Eis zu unterlassen.»

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1963 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Baumann, Heinz)

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1963 (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Baumann, Heinz)

Die Zürcher*innen strömten sofort auf den Zürichsee. Einige hatten sich zuvor in den teuren Sportgeschäften an der Bahnhofstrasse oder in den günstigeren Brockenhäusern mit Schlittschuhen eingedeckt. «Die Seegfrörni liess auch den Mode-Snobismus einfrieren», kommentierte das Schweizer Fernsehen.

Andere schlitterten mit normalem Schuhwerk über die Fläche, Hunde und Kinder tobten kreuz und quer über das Eis. Sogar die Polizei drehte ihre Patrouillen auf Kufen. Nachts kontrollierten die Beamten, ob das Eis die Menschenmassen noch tragen kann. Leiter dieser Eispolizei war «Admiral» Heinrich Müller. Er schaute mit einem motorisierten Raupenschlitten auf dem Zürichsee zum Rechten. Bis zum 8. März 1963 – dann begann das Eis zu schmelzen.